2020 Allgemein

Ein Land, eine Teilung, eine Wiedervereinigung, drei Sichtweisen

Foto: Pixabay.com
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Drei Piraten zum Tag der Deutschen Einheit

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Heute vor dreißig Jahren wurde die deutsch-deutsche Teilung überwunden und die Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Mit dem 3. Oktober traten die gerade erst wieder neu entstandenen Bundesländer im Osten dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Damit endete zugleich die hoffentlich letzte Diktatur auf deutschem Boden. Die Friedliche Revolution in der DDR hatte die Macht des SED-Regimes gebrochen und damit den Weg für eine Wiedervereinigung bereitet. Überall in der DDR entstanden Runde Tische, wurden Zentralen des Staatssicherheitsdienstes gestürmt und die Macht schrittweise in die Hände des Volkes überführt.

Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung blicken wir zurück auf eine nicht immer geradlinige, im Ergebnis aber doch ganz überwiegend erfolgreiche Entwicklung. Den Menschen in der ehemaligen DDR geht es heute zum ganz überwiegenden Teil besser. Sie genießen Freiheiten, die ihnen durch die SED vierzig Jahre lang vorenthalten wurden. Der Eiserne Vorhang, der sich einst quer durch Europa zog, ist bis auf ein paar als Gedenkstätten belassene Anlagen und einemit Pflastersteinen markierte Linie durch Berlin heute weitestgehend verschwunden. Längst wächst in Deutschland eine Generation von Menschen heran, für die der Unterschied zwischen Ost und West nicht größer ist, als der zwischen Nord und Süd. Die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl den Menschen in der ehemaligen DDR einst versprach, sind heute vielerorts Wirklichkeit geworden. Ob das Stadtschloss in Potsdam oder die Frauenkirche in Dresden, ob sanierte Straßen, regenerierte Gewässer oder wiederaufgebaute historische Altstädte – sie alle sind Zeugen der ungeheuren Aufbauleistung, die Deutschland insgesamt seit 1990 zur Überwindung der Folgen des Sozialismus vollbracht hat. Und wenn auch viel zu langsam, so nähern sich auch die Lebensverhältnisse in Ost und West allmählich an. Selbst der Bevölkerungsrückgang, den die neuen Bundesländer nach 1990 erleiden mussten, hat sich merklich verlangsamt. Nicht wenige Menschen schauen heute auf ihre Heimat und bekennen sich mit wachsendem Selbstbewusstsein dazu, Brandenburger, Sachse oder Thüringer zu sein.

Dennoch dürfen diese Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Einigungsprozess auch viele schwerwiegende Fehler gemacht wurden. Einige davon waren kaum vermeidbar. Bei einer Fusion hat es der kleinere Partner immer schwerer. So erging es auch den Menschen in der ehemaligen DDR. Quasi über Nacht fanden Sie sich in einem neuen Staat mit einem gänzlich anderen politischen, rechtlichen und ökonomischen System wieder. Die innerhalb kürzester Zeit erbrachte Transformationsleistung der Menschen in Ostdeutschland kann hierbei kaum hoch genug bewertet werden und sollte auch politisch – etwa in der Frage der Rentenangleichung – ihre Anerkennung finden. Während vieles Verhasste verschwand, mussten die Menschen im kleineren Teil Deutschlands sich auch von einigem Liebgewonnenen – nicht zuletzt von Familie, Freunden und Nachbarn, die ihr Glück und ihre berufliche Zukunft woanders suchten – verabschieden. Für viele, die dablieben, brachte die Wiedervereinigung zunächst Arbeitslosigkeit und damit einhergehend auch soziale Entwurzelung. Die Betriebe, die zu DDR-Zeiten mehr als nur ein Arbeitsplatz waren, verschwanden zu einem großen Teil. Andere wurden zu Zweigstellen vorwiegend westdeutscher Unternehmen mit nur noch einer Rumpfbelegschaft zurückgestuft. Die Treuhand – für viele Menschen Sinnbild des ökonomischen Niedergangs – ist für viele Menschen noch heute ein Trauma, das zumindest aufgearbeitet werden sollte. Aber auch das Gefühl, der eigenen Identität beraubt und um die eigene Lebensleistung gebracht worden zu sein, hat viele Menschen zutiefst gekränkt. Während einige versuchten, ihre ostdeutsche Herkunft bestmöglich zu verstecken, begannen andere daraufhin jenen Staat zu verteidigen, den sie kurz zuvor noch verflucht hatten. Die Erfahrungen der Nachwendejahre, in denen sich viele Ostdeutsche zu Schuljungen westdeutscher Chefs und drüben gescheiterter Beamter degradiert fühlten, wirken bis heute nach und haben sich teilweise auch auf die Generation der Kinder übertragen. Das Gefühl, mit ihrer Geschichte und ihrem Schicksal unzureichend gehört worden zu sein, hat das Vertrauen in die Demokratie nachhaltig beschädigt und ein Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands erschwert.

Dennoch haben viele Menschen sich in den vergangenen dreißig Jahren eine neue Existenz aufgebaut und mit harter Arbeit bei oft geringerem Lohn einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet. Vielleicht braucht es diesen zeitlichen Abstand und Gedenktage wie den 3. Oktober, um offener und zugleich sachlicher über individuelle und kollektive Schicksale miteinander zu sprechen. Sicher wird man dabei über alle Unterschiede hinweg genug Gemeinsamkeiten und gemeinsam vollbrachte Leistungen entdecken, um auch die innere Einheit zu vollenden. 

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30 Jahre Beitritt? Sollte der nicht vollzogen sein? Vermutlich ist dies reines Wunschdenken.

Ich bin eine Art alliierter Urwessi, der mit den sogenannten Schutzmächten aufgewachsen ist und sie schon mit der 68er-Jugend sehr kritisch gesehen hat. Der Vietnamkrieg hat mich als Zuschauer der Nachrichten geprägt und zweifeln lassen, welche Grundlage der kalte Krieg haben soll.

Die Mauer und das Grenzregieme habe ich sehr hautnah erlebt und die Entwürdigungen, die man über sich ergehen lassen musste. Aber uns ging es gut hier und das mit allen Freiheiten, die der Westen so mit sich gebracht hat. 

Durch meine berufliche Tätigkeit wurde ich zum sogenannten Grenzgänger und habe auf diese Weise einen sehr tiefen Einblick in den Alltag des Ostens erhalten. Ich habe immer diese Fähigkeiten bewundert, wie man mit dem allgegenwärtigen Mangel und den langen Schlangen vor den Läden zurechtgekommen ist. Nur für den Fall hatte man immer einen Beutel dabei.

Mehr mit Sorge habe ich die Wende bis zum November 1989 verfolgt, da niemand wirklich gewusst hat, ob diese Situation nicht eine vernichtende militärische Auseinandersetzung zur Folge hat. Zumindest die Militärs sind wohl vernünftig geblieben und so ist der zweite deutsche Staat untergegangen.

Der Beitritt oder die sogenannte Wiedervereinigung hat Anfangs im Osten weitgehend nur Verlierer produziert. Im Westen freuten sich viele über die neuen Absatzmärkte. Und sie waren da, weil der Bedarf da war.

Die Treuhand war eine gute Gelegenheit, die noch bestehende Konkurrenz bis auf ein paar Leuchttürme auszuschalten oder die funktionierenden Betreibe als Schnäppchen zu kapern. Natürlich war fast alles ganz legal. Ich glaube, das sehen die Ostdeutschen ganz anders.

Am 3.10.1990 stand ich im Reichstag direkt hinter dem Dicken und hatte vorher mit einem klobigen Koffertelefon live ins japanische Radio berichtet. Ich habe mich gefreut am 3. Oktober, aber mir auch Gedanken gemacht, wie das wohl so wird und was dort im Osten übrigbleibt.

30 Jahre später ist man schlauer und meine Skepsis ist nicht gewichen. Die Infrastruktur wurde im Osten einfach runderneuert, im Westen fing es an zu bröseln. Man sah die Geldflüsse und das erweckte im Westen Neid. Dieses „Gemeinsam“ fehlt noch heute, da jeder nur auf sich schaut.

Mal ganz unideologisch gesehen: Hausgemeinschaften, Umzugshilfe (das hat man mit Kollegen, Freunden und Verwandten mit dem Betriebsfahrzeug organsiert), die gemeinsamen Abende mit Kollegen auch zu Diskussionen und Fortbildungen fehlen und die Menschen haben sich irgendwie Ersatz gesucht.

Im Westen ging alles weiter so, ohne dass das jemand hinterfragt hätte. Hauptsache, „die im Osten“ wählen richtig.

Wirklich aufgearbeitet wurden wenig, es wurde ausgesessen. Genau so, wie der Dicke das auch immer gemacht hat. Hoffend, dass das sich alles biologisch löst. Aber das ist ein Wunschtraum.

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30 Jahre deutsche Einheit, die uns an 44 Jahre deutsche Teilung erinnert.

Ich bin ein Mauerkind und zwar recht pünktlich zum 15. August 61 geboren. Zwei Tage zuvor wurden die Mauerarbeiten zum Schutze der geteilten deutschen Bürger fertiggestellt. Bei uns im häuslichen Familienbereich nannte man das andere Deutschland „die Ostzone“ und dort lebten der Großteil meiner Verwandten. Die Großeltern väterlicherseits habe ich nie kennengelernt und auch Onkel und Tanten oder Cousinen sind mir nie begegnet. 

Mein Vater war ein ostdeutscher Dissident und hat sich über die Jahre tot getrunken. Gut, wir wuchsen im Markgräflerland auf, der Vater arbeitete bei der Bahn und die Mutter kümmerte sich um ihre vier Kinder. Nur war dieses Schweigen wie ein Damoklesschwert über meiner Familie und das besserte sich eigentlich nie. Tja, der Vater und sein schuldbeladenes Gewissen, das begriff ich erst später. Die Familie des Mauerüberwinders büßte meist mit irgendwelchen Sanktionen, aber darüber weiß ich zu wenig, um etwas schreiben zu können.

Auf seiner Flucht traffen sich mein Vater und meine Mutter. Zufälle gibt’s, die sind schon kaum zu glauben. Am Bahnhof in Eisenach begegneten sie sich. Er kam von Ostberlin und sie aus Herleshausen.

Und hier ist die scharfe Grenze. Zwischen Thüringen und Hessen, da wo die Wera fliesst und zwei meiner Onkel, die über den Fluß nach Herleshausen flüchten wollten, in ihre wilden Gewässern hinab gezogen wurden. Dabei stand die Familie am Westufer der Werra, meine Mutter war noch ein junges Mädchen und sahen zu, wie die Männer den Halt verloren und ertranken. Ist ein roter Faden in meiner Familie, das Ertränken von Leib und Leben. Meist sind es die männlichen Angehörigen, die es erwischt.

Wunderbar, vor 30 Jahren haben wir wieder zusammen gefunden. Oder auch nicht. Die Familien habe ich nie getroffen. Weder von meinem Vater, noch von meiner Mutter. Aber ich bin nach „Drüben“ gegangen, auch so eine seltsame Redewendung aus den Zeiten der deutschen Teilung. Geh halt nach „Drüben“, wenn Dir etwas nicht passt. Was ja dann auch manch ein Politrebell der RAF Zeit durchgezogen hat. Lost in DDR. Das Markgräflerland ist ja eine Brutstätte dieser Politrebellen. Mein Bruder ging mit Christian Klar ins selbe Gymnasium, der Nachbarsjunge war ein Klassenkamerad des RAF C.Klar. Und mein Vater meinte mal wieder…Geh halt nach Drüben… wahrscheinlich wäre er selbst gerne in seine Heimat, hinter den Sperrzaun zurückgegangen. Oder hätte einfach mal bei seiner Mutter vorbeigeschaut. Er hat bis zu seinem Tode seine Heimat nie wieder gesehen.

Um den Faden nicht zu verlieren, der sich durch meine Familiengeschichte zieht, wurde meine Tochter im Spätherbst 89 geboren. Ja richtig, der Mauerfall ist hier datiert. Die unwirkliche Grenze wurde endlich aufgehoben. Das Konstrukt der Angst und der Verdrängung brach auf. Und die Schwierigkeiten der gegenseitigen Annahme. Die alten Wunden konnten ja nie richtig geheilt werden. Das ist die Verdrängung, die sich so gerne verselbstständigt und die Vorurteile und Feindseligkeit schürt. Die Kultur der DDR hat dabei unglaublich schlimm gelitten.

Diese herausragenden Schriftsteller-Frauen und Männer des klugen Federkiels, wo sind sie geblieben? Ich lebe seit 2013 hier in Cottbus und begegne den ehrwürdigen Schreibern  in den Einkaufspassagen, da wo die Bücherschränke aufgestellt sind, wo man kostenfrei Bücher mitnehmen kann, im Austausch für die Bücher die man einstellt. Was für schöne Schätze aus den DDR Verlagen habe ich dort schon entdeckt.

Von über 70 DDR-Verlagen haben drei überlebt – das muss man eigentlich nicht kommentieren. Herbert Schirmer

Und nicht zu vergessen sind auch die Kunsthandwerker, die ausgehungert und dann von ausländischen Billigprodukten ersetzt wurden. Das zieht sich durch alle Berufssparten, dieses Zerstören fundierter Arbeit und deren Früchte. Ersetzt durch Billigschrott. Das gleiche gilt für die Bildung. Unser Land, und das ist unsere neue Gemeinsamkeit, verblödet an Geistlosigkeit .

Ich komme hier zum Ende für heute. Besonders will ich aber unseren Bundesparteitag am 14. November 20 erwähnen, der in Brandenburg, in Fürstenwalde stattfindet. Dort treffen sich alle Piraten über die Grenzen hinaus, um die Partei stabil und stark zu machen. Um mit Vorurteilen aufzuräumen und ein geeintes Konzept für unser, so schicksalsgeschütteltes Deutschland zu beschließen.

In diesem Sinne hole ich noch einmal meinen alten Vater ins Boot, denn heute ist sein 89 Geburtstag. Er wurde am 03.10.31 irgendwo in Sachsen-Anhalt geboren.

Ruhe in Frieden alter Genosse.