Überalterung und Abwanderung führen in Ostdeutschland zu gewaltigen Leerständen. So steht in Brandenburg bis zum Jahr 2030 bei einem erwarteten Bevölkerungsrückgang von 363.000 Einwohnern ein Leerstand von rund 150.000 Wohnungen gegenüber. Es bleibt kaum eine Wahl zum Abriss. Das Votum von Bundesbauminister Tiefensee, – das Programm „Stadtumbau Ost“ zu verlängern geht in die richtige Richtung. Doch es sind viele Änderungen am Programm nötig um öffentlicher Mittelverschwendung vorzubeugen und Städte zu revitalisieren.
Prognosen:
Bereits für 2010 wird für Ostdeutschland mit einer „zweiten Leerstandswelle“ gerechnet, da der rückliegende Wegzug der jungen Menschen einen demographischen Echoeffekt hervorrufen wird. Ohne weiteren Abriss würden dann der Leerstand von 2007-2020 von 780.000 auf 1,42 Millionen Wohnungen in Ostdeutschland anschnellen. Es ist somit Eile beim Stadtumbau geboten um Stadt als solche zu erhalten. Ziel ist Großsiedlungen in Randlagen abzubauen und Innenstädte aufzuwerten, – von Außen nach Innen. Egal was man von der Abrissbirne -zu Neudeutsch Rückbau- hält, sie ist angesichts der Größe des Problemes nicht mehr durch Nischenlösungen ersetzbar und die Zeit drängt. Zu groß war die Fehlsteuerung der nahen Vergangenheit in Sachen Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik. Einen gewissen Sarkasmus kann man sich natürlich nicht verkneifen, wenn man bedenkt das eine der wesentlichen Forderungen von 1989 der Abrissstop war, -damals ging es allerdings um die historisch ältere Bausubstanz, -heute meist um die „Platte“.
Effizenz des Umbauprogrammes:
Es geht nicht schnell genug… Der Landesrechnungshof Brandenburg rügt daher die Ineffizienz des nun fünfjährigen Programmes und merkt an das nur ein leichter Rückgang des Leerstandes feststellbar ist. Das Abrisstempo kann den Bevölkerungsrückgang schlicht noch nicht kompensieren, –während Mittel nicht abgerufen werden!
Das Infrastrukturministerium hat laut Rechnungshof bis zum Auslaufen des Programms 2009 bereits 162 Millionen Euro für den Rückbau von Wohnungen bewilligt. Die Kommunen hätten aber erst einen Fördermittelbedarf von 119,4 Millionen Euro angemeldet!
Es scheint für einige immer noch nicht zu brennen. Das beste Mittel ist die komplette Offenlegung aller Förderanträge, Budgets und ein gläsernes Infrastrukturministerium. Wir wollen sehen wer da schläft und Geld verschenkt.
Fehlende Förderrichtlinien:
Ein wesentlicher Mangel in Brandenburg ist das fehlen verbindlicher Förderrichtlinien, -uneffektive Vorgaben und mangelnde Kontrolle eingeschlossen. Das muss sich ändern! Bereits die Auswahl der 32 Städte, die am Programm teilnehmen dürfen, ist nicht nachzuvollbar.
So haben die Städte Finsterwalde, Velten und Jänschwalde Fördermittel erhalten, ohne je die Fördervoraussetzungen erfüllt zu haben. Die Stadt Frankfurt wiederum hat zum Beispiel mit Geldern aus dem Programm die Renaturierung eines Bachtales in der Innenstadt finanziert und dabei die vorgeschriebene Höchstfördergrenze um 376 Prozent überschritten.
Brandenburg muss schnellstens verbindliche Förderrichtlinien aufstellen, -so wie in anderen Bundesländern. Minister übernehmen Sie! Jetzt!
Pauschale Fördermittel:
Eine weitere Schwachstelle ist die pauschale und undifferenzierte Geldvergabe für den Abriss. So erhalten alle am Projekt beteiligten Wohnungsgesellschaften pauschal 60 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche.
Die tatsächlichen Kosten beliefen sich jedoch in Brandenburg a. d. Havel nur auf 35 Euro pro Quadratmeter. Für Eisenhüttenstadt errechneten die Prüfer 42 Euro pro Quadratmeter und für Eberswalde (Barnim) rund 48 Euro. Die Differenz hätten die Wohnungsunternehmen mit der vom Ministerium akzeptierten Begründung eingestrichen, dass spätere Abrisse wahrscheinlich teurer werden könnten.
Nach Ermittlung des Rechnungshofes hätten allein in den 13 geprüften Städten bei einer korrekten Abrechnung 760 Plattenwohnungen mehr abgerissen werden können.
Ein klarer Fall für den Bund der Steuerzahler und die Benennung von Verantwortung!
Eigenanteil:
Jedoch gerade die Städte, die am meisten von Leerstand und Wegzug betroffen sind, können wegen der fehlenden Eigenmittel oft Fördermittel nicht in Anspruch nehmen, um notwendige Projekte zu finanzieren.
So müssen sich die Städte mit Eigenanteil von einem Drittel der Kosten bei Aufwertungsmaßnahmen beteiligen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Finanzierung des Rückbaus der technischen Infrastruktur.
Der kommunale Eigenanteil muss deshalb deutlich gesenkt werden!
Desolate Wohnungsbaugesellschaften:
Ein weiteres schweres Problem für den zügigen Stadtumbau ist die Belastung der Wohnungsbauunternehmen durch Alt- und Neuschulden. Etwa 70% der brandenburgischen Wohnungsgesellschaften stecken die Hälfte ihrer Einnahmen immer noch in die Entschuldung. Die Folge: minimale Instandhaltung des bestehenden Wohnraumes und eine folgende Wegzugsspirale. Ohne Lösung der Schuldenfrage droht das gesamte Programm an der Realität vorbeizuarbeiten. Insbesondere in Sachsen nimmt dies dann im Zusammenhang mit dem geförderten Rückbau groteske Züge an:
Seitenblick nach Sachsen:
Viele Unternehmen haben vor Beginn des Umbauprogrammes mit Krediten Trabantenstädte saniert und haben nun keine Ersatzsicherung um diese mangels Nachfrage abzureißen. Die Folge die Unternehmen opfern ihren innerstädtischen Altbaubestand und pumpen die daraus gewonnenen Fördermittel in die unrentable Plattenbausubstanz. Vielerorts wird von einer Connection aus Banken, Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften gesprochen. Mindestens jede 10 in Ostdeutschland abgerissene Wohnung ist heute Altbausubstanz (Video). Mit den daraus gewonnen Fördergeldern stecken die Unternehmen Gelder in die unwirtschaftlich sanierten Platten um deren Wert mühsam zu erhalten. Die Folge ist eine Entwertung innerstädtischer Quartiere und eine teilweise ruinöses Innenstadtqualität. Welche Kreditsummen im Spiel sind ist unbekannt. Eine Zeitbombe für die Aufbaubanken.
Die Aufwertung von Wohnraum und Wohnumfeld sollte ursprünglich gleichgestellt mit dem Rückbau erfolgen. In Sachsen werden 90% der Mittel für Abriss aufgewendet, – in Brandenburg ist es weitgehend gesplittet zwischen Aufwertung und Abriss. Das Gesamtverhältnis von Aufwertung zu Rückbau beträgt in Ostdeutschland aber 30:70 statt 50:50.
Die Aufwertung der Innenstädte und erhaltenswerten Stadtquartiere muss wieder in den Mittelpunkt geraten!
Kulturabbau:
Kulturangebote sind einer der wesentlichen weichen Standortfaktoren um Lebensqualität zu erzeugen. Schließlich leben die wenigsten um zu arbeiten sondern für die Zeit danach. Man könnte es beschönigen und sagen: in den meisten ostdeutschen Ländern ist die Kulturförderung gemessen mit an den westdeutschen Ländern sehr stark ausgebaut und sogar führend. Doch die Realität ist eine andere.
Die Kommerzialisierung von Potsdamer Kulturangeboten und das Ausweichen der Jugend nach Berlin ist eines der Beispiele. Die „kreativen Raumpioniere“ müssen im Land bleiben und hier Anreize finden! Gerade der Leerstand ist eine Chance für freie Kulturräume und Standortpolitik. Koordinierte Zwischennutzung ist eine der Möglichkeiten, -allein in Brandenburg fehlt ein solches Instrument.
Rein statistisch gibt Brandenburg derzeit rund 80 Euro für Kultur je Kopf und Jahr aus. Der gesamtdeutsche Vorreiter Sachsen investiert immerhin doppelt so viel pro Kopf in seine Kultur! Die Kulturförderung in Brandenburg muss endlich stabilisiert und erheblich ausgebaut werden. Wir brauchen den kreativen Umgang, -er ist keine Lösung, aber er zeigt Wege.
Insgesamt haben die östlichen Länder ihre Kulturausgaben in den Jahren bis 2005 deutlich stärker verringert als die Städte und Gemeinden, nämlich von 940 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 772 Millionen Euro im Jahr 2005. Die Kommunen gaben im Jahr 2001 insgesamt 740 Millionen Euro für Kultur aus, im Jahr 2005 waren es noch 698 Millionen Euro.
Länder wie Brandenburg sind in der Pflicht, Kulturausgaben nicht weiter auf kommunalen Rücken auszutragen.
Widersrüchliche Förderprogramme:
Außerdem sollte auf regional und gebietsbezogen undifferenzierte Förderangebote, wie zum Beispiel das KFW-Wohneigentumsprogramm, in Zukunft verzichtet werden, um die Abwanderung ins Umland nicht weiter voranzutreiben.
Förderprogramme welche die Eigentumsbildung in Randlagen fördern müssen endlich auf den Prüfstand! Wie kann es sein, das man gefördert 1 km vor Cottbus baut und innerhalb der Stadt gefördert abreißt?
Wachstum durch Arbeit?
All das wird ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein bleiben wenn man es nicht schafft die Ursachen des Leerstandes zu bewältigen. Ohne Ursachenlösung verschieben sich die Folgeprobleme -wie etwa das demographische Gefälle und dessen soziale Risiken- auf nachfolgende Generationen.
Leerstände sind ein Indikator für der Konjunktur und Wachstum. Die Folgerung aus den Leerstandszahlen muss demzufolge in Ostdeutschland ziemlich eindeutig ausfallen. Doch woher Wirtschaftswachstum nehmen? Ist nicht eventuell auch das klassische Modell vom „stetigen Wirtschaftswachstum“ in Zeiten der Globalisierung erfolglos? Ist Brandenburg ein Globalplayer? Können wir noch auf Wachstum als Chancengeber setzen? Zumindest in der Sozialwissenschaft berät man seit einiger Zeit darüber, ob nicht neue Modelle gefordert sind, -als die bloße Hoffnung auf Wachstum.
Ein greifbares Beispiel das jeder kennt, ist die Arbeitslosigkeit und tatsächlich vorhandenen Stellen. Da hilft es dann eben oft nicht mehr wenn Bewerbungen geschrieben werden. Wo nichts ist, kann nichts vergeben werden. Insofern ist jede weitere Hartz-4 Reform eine Verschlimmbesserung von Repressionen. Ostdeutschland muss den ersten Schritt gehen und die Diskussion über den Begriff Arbeit einfordern. Was ist Arbeit? Wie wird sie bezahlt? Ist das Grundeinkommen eine Lösung? Wenn ja unter welchen Rahmenbedingungen? Dort angekommen kann man wieder über Bauprogramme und eine nachhaltige Zukunft nachdenken.
Brandenburg muss über den Tellerrand schauen und aktiv „Arbeit“ und „Entvölkerung“ thematisieren. Wir fordern eine öffentliche Diskussion über die Zukunft der Arbeit. Wir brauchen jedoch nicht nur eine öffentliche Diskussion sondern auch eine Beteiligung aller Bürger, denn offensichtlich sind die gewählten Entscheider nicht in der Lage das Problem des Leerstandes an der Wurzel zu lösen und vertrösten die Bürger mit der Aussicht auf blühende Landschaften Altenheime.
hallo piraten,
könntet ihr den autor vielleicht von „piratenpartei“ auf „piratenpartei brandenburg“ stellen? das ist etwas verwirrend im rss-feed 😉
Wir dachten schon es wär was inhaltliches 😉
Wurde geändert.